Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das Sprechen im Schlaf, auch Somniloquie genannt, ist ein häufig verbreitetes Phänomen. Etwa 50% aller Kinder zwischen 3 und 10 Jahren und 6,3% aller Erwachsenen reden im Schlaf. Aus schlafwissenschaftlicher Perspektive ist Reden im Schlaf als Schlafstörung klassifiziert. Genauer ist es eine Parasomnie, die den Schlaf unterbrechen und so die nächtliche Erholung stören kann.
Aber was genau wird im Schlaf eigentlich gesprochen?
Dazu untersuchten französische Wissenschaftler der Universitäten Paris und Lyon 232 Menschen. Die Beobachtungen wurden in der Station für Schlafstörungen des Pitié-Salpêtrière Hospital in Paris durchgeführt. Veröffentlicht wurde die Studie in der internationalen Zeitschrift für Schlafforschung, SLEEP (Oxford University Press) am 15. November. 2017.
Die Studie ist frei zugänglich und steht zum Download bereit.
Ziele
Die menschliche Sprache gehört zu den komplexesten Funktionen unseres Gehirns. Auch wenn die Linguistik bereits viel entschlüsselt hat, wissen wir über das Reden im Schlaf noch nicht viel. Speziell die semantischen und syntaktischen Merkmale schlafbezogener Sprache sind völlig unbekannt. Deshalb analysierte diese Studie die schlafbezogene Sprache von Erwachsenen (Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” p. 1, Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159).
Stichprobe
Für die Studie wurden 232 Menschen (49,5 ± 20 Jahre alt; 41% Frauen) untersucht. Davon waren 15 Personen ohne jegliche Schlafstörung, die jedoch berichteten, dass sie mindestens ein mal pro Woche im Schlaf sprechen. 129 hatten eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung, 87 waren Schlafwandler oder litten unter Pavor nocturnus (Nachtangst) und eine Person hatte eine Schlafapnoe (Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” p. 1f, Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159).
Methoden
Alle Patienten wurden anhand eines halbstrukturierten Interviews zu ihrer (falls vorhandenen) Schlafstörung befragt. Neben personenbezogenen Daten wurden Informationen über relevante klinische Vorgeschichten, das Alter bei Beginn der Schlafstörung, die Muttersprache und die gelegentliche Nutzung von Fremdsprachen erhoben. Das Bildungsniveau und der berufliche Status der Teilnehmer wurde nicht erfasst(Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” p. 2, Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159).
Die Teilnehmer wurden für eine oder zwei aufeinanderfolgende Nächte im Schlaflabor mit Durchführung einer Polysomnographie beobachtet und aufgezeichnet. Die während der nächtlichen Video-Polysomnographie aufgezeichneten Äußerungen wurden auf die Anzahl der Wörter, Aussagen und Sprachepisoden, Häufigkeit, Lücken und Pausen, Lemmatisierung, Ausführlichkeit, negativer/imperativer/fragender Ton, erste/zweite Person
Höflichkeit und Beleidigungen analysiert (Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” p. 1f, Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159).
Ergebnisse
Insgesamt wurden 883 Sprachepisoden mit 3349 klar verständlichen Wörtern und 59% nichtverbale Äußerungen (murmeln, lachen, flüstern und schreien) aufgezeichnet. Das am häufigst verwendete Wort war “Nein”, was in 21,4% der Äußerungen vorkam. Eine Art Verhör oder Befragung trat in 26% der Fälle auf. 12,9% beinhalteten Nebensätze und 9,7% hatten obszöne Inhalte. Im REM-Schlaf wurde mehr und länger geflucht. Die Beleidigungen traten meist in Form von gezielten Beschimpfungen oder Verurteilung auf. Geflucht wurde hauptsächlich im Non-REM-Schlaf. Männliche Teilnehmer sprachen im Schlaf nicht nur mehr als die weiblichen Teilnehmer, sondern fluchten auch häufiger und benutzen öfter Schimpfwörter. Die Sprachpausen einer üblichen Unterhaltung wurden eingehalten, was zu Lücken in der Sprachproduktion führte (Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” p. 3-6, Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159).
Grammatik und Satzbau
Auch wurde bestätigt, dass die Äußerungen zum größten Teil grammatikalisch korrekt waren. Die Komplexität der Äußerungen lässt darauf schließen, dass unser Gehirn während des Schlafs das selbe neuronale System benutzt, das auch bei Wachheit für die Sprachproduktion zuständig ist (Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” p. 8, Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159).
Dominanz von Gemurmel und anderen Lauten
Den Grund dafür sehen die Wissenschaftler zum einen in den unterschiedlichen Schlafpositionen. So konnte es gar nicht erst zu einer klaren und verständlichen Sprachproduktion kommen, wenn die Teilnehmer auf der Seite oder sogar auf dem Bauch lagen und somit die für die Sprachproduktion notwendigen Muskeln und Organe blockierten, einquetschten oder mit dem Gewicht des Kopfes belasteten. Außerdem sprechen die Ergebnisse dafür, dass es im Schlaf zu einer motorische Hemmung der Artikulationsorgane kommt (Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” p. 7f, Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159).
Inhalt der Äußerungen
Das häufige Auftreten von Verneinungen, Ausrufsätzen, Fragen und obszöner Sprache suggeriert, dass es im schlafenden Gehirn zu einer angespannten Kommunikationssituation kommt, etwa einer Meinungsverschiedenheit einem Konflikt oder Streit. Ob das Erzählte jedoch den während des Schlafens und in dem Moment präsenten geistigen Inhalt wiedergibt, konnte nicht geklärt werden (Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” p. 1ff, Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159).
Quellen:
Arnulf, Isabelle, et al. “What Does the Sleeping Brain Say? Syntax and Semantics of Sleep Talking in Healthy Subjects and in Parasomnia Patients.” Sleep, vol. 40, no. 11, 2017, doi:10.1093/sleep/zsx159.